Es begab sich zu einer Zeit, da waren Gäste zu Besuch in der Propstei Zella. Nach einem ausgelassenen Abend, erfüllt von Lachen und Wein, zogen sich die Gäste in ihre Zimmer zurück, um sich von den Erlebnissen des Tages zu erholen. Doch mitten in der Nacht wurde einer der Gäste aus seinem Schlaf gerissen. Ein kalter Luftzug hatte ihn getroffen und als er die Augen öffnete, erstarrte er vor Schreck. In der offenen Zimmertür stand eine bleiche, ausgezehrte Gestalt im Mönchsgewand, die ihn mit leeren Augen anstarrte.
Sein Herz raste und ihm standen die Haare zu Berge. Der Schweiß brach ihm aus, und für einen Moment war er wie gelähmt. Doch so unhörbar, wie das Gespenst erschienen war, verschwand es auch wieder in der Dunkelheit. Nach einer schlaflosen Nacht, gequält von der Erinnerung an die unheimliche Erscheinung, berichtete der Gast den anderen von seiner Begegnung. Doch niemand wollte ihm glauben; alle dachten, es sei nur ein Albtraum gewesen.
Entschlossen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, erklärte sich ein anderer Gast bereit, in der kommenden Nacht im gleichen Zimmer zu schlafen. Er legte sich in das angebliche Spukzimmer, schloss sich zur Vorsicht ein und hielt eine Pistole griffbereit. Doch auch er wurde in der Nacht von einem Luftzug geweckt und sah das gleiche Gespenst, das sein Vorgänger beschrieben hatte. Starr vor Schreck vergaß er, nach der Waffe zu greifen, und war heilfroh, als der Spuk vorüber war. Von diesem Tag an wollte niemand mehr in diesem Flügel der Propstei nächtigen.
Jahre später, als die Erinnerungen an die unheimlichen Nächte verblasst waren, saß ein Pfarrer von Zella mit einigen Herren in seinem Garten hinter der Propstei, der durch eine alte Mauer von der Außenwelt abgeschlossen war. Mitten in der Unterhaltung hörten sie ein seltsames Klopfen, das von der Mauer zu kommen schien. Verwundert schauten sie sich um, doch weit und breit war niemand zu sehen.
Am nächsten Tag und auch am folgenden vernahmen sie zur gleichen Zeit das Klopfen erneut. Am vierten Tag waren sie wieder auf Horchposten, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Genau auf die Minute klopfte es wieder an der Mauer. Das Poltern wurde stärker, und plötzlich stürzte ein Stück der Mauer ein.
Unter den Steinen fanden sie ein wohlerhaltenes Skelett eines großen Menschen, das in einem alten Mönchsgewand gehüllt war. Die Herren waren entsetzt und zugleich fasziniert von der Entdeckung. Sie begruben das Skelett auf dem Friedhof in geweihter Erde, und seitdem war von dem Gespenst nichts mehr gehört oder gesehen worden.